Zusammenfassung
Der Anspruch einer uneingeschränkten, alleinigen Anwendung der Evidenz-basierten Medizin
(EbM) als Steuerungsinstrument der Versorgung im deutschen Gesundheitswesen entspricht
weder der medizinischen Realität noch wird sie den Patientenbedürfnissen umfassend
gerecht. Ein überwiegender Teil der praktizierenden Ärzte heißt die Erkenntnisse der
EbM willkommen und wendet diese, wenn als sinnvoll erachtet, an. Eine Mehrheit der
Ärzte verlässt sich neben Daten aus klinischen Studien und Leitlinien zum wesentlichen
Teil auf ihre persönliche Erfahrung in Therapie und Patientenbetreuung. Die Patienten
ihrerseits verlassen sich überwiegend auf die Entscheidungen ihres Arztes, nutzen
aber auch die heutigen – zum Teil begrenzten – Möglichkeiten, sich über ihre Krankheit
und Behandlungsalternativen spezifisch zu informieren. Das heutige Arzt-Patienten-Verhältnis
wird dadurch charakterisiert, dass der Arzt auf die Präferenzen eines zunehmend besser
informierten Patienten eingehen muss, um innerhalb der zur Verfügung stehenden Therapiealternativen
einen individuellen Ansatz zu wählen, der dem therapeutischen Ziel gerecht wird und
gleichzeitig für den Patienten akzeptabel ist. Die zunehmende Handhabung der EbM als
politisches Steuerungsinstrument auf der Systemebene soll daher wieder auf das wissenschaftliche
Fundament der EbM zurückgeführt und um die Dimension der individuellen Patientenbedürfnisse
und Patientenerfahrungen erweitert werden. Dies erscheint möglich, indem die wissenschaftliche
Evidenz des EbM-Ansatzes um die Erfahrungen der praktizierenden Ärzte und die Erfahrungen/Präferenzen
der Patienten systematisch erweitert wird. Ein solcher Ansatz der Patienten-basierten
Medizin (PbM) beinhaltet neben der wissenschaftlichen Evidenzbewertung eine Stärkung
des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch Garantie ärztlicher Therapiefreiheit und individueller
Patientenpräferenz. Neben erhöhter Ärztemotivation und verbesserter Patientencompliance
verspricht dieser Ansatz auch eine effiziente Ressourcenallokation.
Abstract
In Germany, evidence-base medicine (EbM) is increasingly used to shift influence on
health care decision making from physicians to institutional actors and health care
policy. This exclusive use of EbM as a political steering tool does not correspond
with the reality in the actual health care setting. As demonstrated by a survey with
prescribing physicians and their patients, EbM’s practical role in day-to-day patient
care is less clear. Results demonstrate that practicing physicians consider not only
evidence-based information, but also patient-oriented criteria to achieve adequate
patient care and compliance. Therefore, the concept of patient-based medicine, i.
e. considering the results of evidence-based medicine assessment in combination with
empirical judgment by prescribing physicians and their patients, is proposed as extension
of current EbM practice in everyday patient treatment as well as for regulatory decision
making regarding health care services.
Schlüsselwörter
Gesundheitsversorgung - Nutzenbewertung - Evidenz-basierte Medizin - Patientenperspektive
- Patienten-basierte Medizin
Key words
health care - benefit assessment - evidence-based medicine - patient perspective -
patient-based medicine
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Rainer Rohrbacher
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